In unserer Novemberausgabe widmen wir uns einem Mann, der sein Leben der Erforschung der menschlichen Psyche verschrieben hat: Dr. Peter Suedfeld. Mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes floh er nach dem zweiten Weltkrieg in die USA, wo er 1983 an der Princeton Universität in experimenteller Psychologie promovierte.
Über 30 Jahre seiner wissenschaftlichen Karriere widmete er der Erforschung menschlicher Resilienz. Mit seiner Forschung begleitete er Besatzungen in die Antarktis, analysierte die Belastungen von Raumfahrtcrews und untersuchte Überlebende traumatischer Ereignisse wie dem Holocaust.
Er war als Sachverständiger vor US-amerikanischen und kanadischen Gerichten und als Berater für das kanadische Verteidigungsministerium, die NASA, das National Space Biomedical Research Institute, die kanadische Raumfahrtbehörde und das US Peace Corps tätig.
Vor allem aber gilt er als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Restricted Environmental Stimulation Therapy (REST). Dem Gebiet, dass sich mit den Auswirkungen und Nutzungsmöglichkeiten reizarmer Umgebungen auf den Körper beschäftigt.
Dr. Peter Suedfeld (Expedition)
Eine kurze Begriffserklärung
REST steht für „Restricted Environmental Stimulation Therapy“ und bezeichnet eine Methode, die untersucht, wie reizarme Umgebungen auf den menschlichen Körper wirken. Dabei gibt es verschiedene Ansätze zur Umsetzung von REST. Der bekannteste ist das sogenannte Flotation REST: Eine Person schwebt in einem Becken mit stark salzhaltigem Wasser, wobei externe Sinnesreize auf ein Minimum reduziert werden.* Im allgemeinen Sprachgebrauch heute als Floaten bezeichnet. Ein weiterer Ansatz ist das Chamber REST, das vor allem in frühen Forschungsstudien Anwendung fand. Hierbei liegt die Versuchsperson bis zu 24 Stunden auf einem Bett in einem vollkommen dunklen und schallisolierten Raum.
Die 1980er Jahre – der Durchbruch in der Floatforschung
In den frühen 1960er und 1970er Jahren galt an vielen psychologischen Forschungseinrichtungen die Auffassung, dass die Reduktion von Umgebungsreizen eine Form des Stress ist. Ein Zustand, der dem menschlichen Körper negativ zusetzt.
Doch Peter Suedfeld war überzeugt, dass diese Auffassung auf verzehrten Annahmen und Experimenten beruhte. Eine kontroverse These. Er kritisierte, dass Probanden vor Chamber REST Experimenten unzureichend über die bevorstehende Umgebung aufgeklärt wurden. Die Räume wirkten oft kühl und waren mit Panikknöpfen ausgestattet, die erhebliche Ängste schürten, bevor Versuchsreihen überhaupt begannen.
Probanden mussten oft mehrere Stunden in REST Umgebungen verharren. Ein Zustand kompletter Isolation, der zu stressbedingten Überlebens- und Adrenalinschüben führte – das genaue Gegenteil einer therapeutischen Maßnahme.
Dr. Suedfeld vermutete, dass die Reduktion von Reizen für den Körper nicht inherent schlecht ist. Im Gegenteil, er sah das Potential in der therapeutischen Nutzung der reizarmen Umgebung.
Um seiner These nachzugehen, änderte Dr. Suedfeld die Prozessabläufe in den Experimenten. Die Umgebungen für REST Versuche wurden einladender gestaltet und Testpersonen ausführlich mit der Umgebung vertraut gemacht. Und die Ergebnisse gaben ihm Recht. Entgegen der herrschenden Meinung zeigten die Probanden erhebliche Entspannungsreaktionen. Der Weg für neue Forschungsreihen war geebnet.
Im Zuge dessen gewann die Floatumgebung zunehmend an Bedeutung. Sie hatte den Vorteil, die Sitzungszeiten eines REST Experiments auf wenige Stunden zu reduzieren und ermöglichte, den Körper schwerelos und ganz ohne Druckpunkte zu lagern.
"Water immersion and flotation: From stress experiment to stress treatment" (Suedfeld, P. et al., 1983)
Erste Publikationen wie das Paper "Water immersion and flotation: From stress experiment to stress treatment" (Suedfeld, P. et al., 1983) legten den Grundstein für weitere Forschung, insbesondere von Peter Suedfeld, Thomas Fine, John Turner und Arreed F. Barabasz.
Das kontinuierliche Forschungsbestreben führte zu einer stetigen Systematisierung des Forschungsbestands in drei Bereiche:
(i) Theoretische Formulierungen für REST Effekte,
(ii) Experimentellen Ergebnisse und
(iii) Klinische Forschung im Zusammenhang mit Flotation REST.
Bis heute wegweisende Arbeiten zu den Effekten des Floatens auf Plasma Cortisol, Blutdruck and Stimmung, Rheumatoide Arthritis oder Lernfähigkeit entstanden.
Der Weg ist geebnet – Die Ergebnisse der frühen Forschung in den 1980er
Peter Suedfeld und die wissenschaftlichen Kreise der 1980er Jahre haben uns vor allem eines hinterlassen: den unermüdlichen Antrieb, den Status quo kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Viele der heute durchgeführten Studien zum Flotation REST basieren auf den frühen Erkenntnissen von Peter Suedfeld und seinen Kollegen.
Auf einer Float-Konferenz im Jahr 2015 bekräftigte Peter Suedfeld seine Haltung zum unermüdlichen Fortschritt und der Notwendigkeit, sich kritisch mit dem aktuellen Wissensstand auseinanderzusetzen. Dabei verwies er auf ein bekanntes Zitat des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld vom 12. Februar 2002:
„Wie wir wissen, gibt es bekannte Bekannte; also Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt; das heißt, wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – jene Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“
Er plädierte, klar zwischen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen und unbelegten Annahmen im Bereich des Flotation REST zu unterscheiden. Folgende Liste* von Dr. Suedfeld zeigt exemplarisch, wie wir den Forschungsstand seit den 1980er kategorisieren können:
Bekannte Bekannte: Was wir zuverlässig wissen (therapeutische Anwendung)
- Reduzierte Schmerzwahrnehmung (Arthritis, Stress)
- Rückkehr zur Arbeit (Burnout-Syndrom)
- Reduktion von Stress
- Verringerung Blutdruck & Stresshormone
- Reduktion Muskelspannung/Tonus
- Behandlung von Fibromyalgie
Bekannte Bekannte: Was wir zuverlässig wissen (Leistungsverbesserung)
- Steigerung athletischer Performance
- Steigerung der Lernfähigkeit & kognitiven Leistung
In der Erforschung mit ersten Belegen
- Prämenstruelles Syndrom (PMS)
- Hyperaktivitätssyndrom
- Zwangsstörungen
Bekannte Unbekannte: Was wir nicht wissen
- Optimale Anzahl an Floatsitzungen bei verschiedenen, klinischen Krankheitsbildern
- Optimale Nutzung der Floatumgebung
Unbekannte Unbekannte
- Jene Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Das sind die blinden Flecken (Schwarzer Schwan Events)
*Die Darstellung ist nicht abschließend und basiert auf dem Jahr 2015. Sie soll exemplarisch zeigen, wie wir etwaige ungesicherte Aussagen in Forschung und Therapie vermeiden, indem das bisherige Verständnis in "Bekannte Bekannte, Bekannte Unbekannte und Unbekannte Unbekannte" untergliedert wird.
Innovative Forschung am Laureate Institute for Brain Research (LIBR): Neue Ansätze zur Behandlung von Angststörungen und Stress
Auf Basis der grundlegenden Erkenntnisse der 1980er Jahre ist die Wissenschaft insbesondere in den letzten 10 Jahren weiter vorangeschritten. Eines der größten Forschungsprojekte zum Flotation REST findet derzeit am Laureate Institute for Brain Research in Tulsa, Oklahoma, statt.
Das Team um den Neurowissenschaftler Dr. Justin Feinstein untersucht, wie sich das Floaten in einer sensorisch reduzierten Umgebung auf Personen mit schweren Angstzuständen, Postraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen stressbedingten Erkrankungen auswirkt.
Die bisher wichtigsten Ergebnisse randomisierter, kontrollierter Studien zeigen, dass Float REST die Angstsymptome deutlich reduziert, selbst bei Personen, die typischerweise mit Standardbehandlungen nicht zurechtkommen oder sehr empfindlich auf die mit Angst verbundenen körperlichen Empfindungen reagieren.
Viele Teilnehmer berichten von einer erheblichen Erleichterung nach nur einer einzigen Sitzung, wobei die Ergebnisse die Ergebnisse einiger traditioneller Therapien übertreffen. Die angstreduzierenden Effekte halten zum Teil bis zu 48h an. Klinisch ein großer Erfolg.
Taking the body off the mind: Decreased functional connectivity between somatomotor and default-mode networks following Floatation-REST (Al Zoubi et al., 2021)
Im Jahr 2021 gelang es dem Forschungsteam erstmals mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) die Auswirkungen des Floatens auf die Gehirnfunktion abzubilden. Das Team fand eine veränderte Konnektivität – insbesondere in Bereichen des Default-Mode-Netzwerks und der somatomotorischen Kortexregionen – die der angst- und schmerzlindernden Wirkung von Float REST zugrunde liegen kann.
Garland, M. M., Wilson, R., Thompson, W. K., Stein, M. B., Paulus, M. P., Feinstein, J. S., & Khalsa, S. S. (2024). A randomized controlled safety and feasibility trial of floatation-REST in anxious and depressed individuals. medRxiv : the preprint server for health sciences, 2023.05.27.23290633. https://doi.org/10.1101/2023.05.27.23290633
Choquette, E. M., Flux, M. C., Moseman, S. E., Chappelle, S., Naegele, J., Upshaw, V., Morton, A., Paulus, M. P., Feinstein, J. S., & Khalsa, S. S. (2023). The impact of floatation therapy on body image and anxiety in anorexia nervosa: a randomised clinical efficacy trial. EClinicalMedicine, 64, 102173. https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.102173
Al Zoubi, O., Misaki, M., Bodurka, J., Kuplicki, R., Wohlrab, C., Schoenhals, W. A., Refai, H. H., Khalsa, S. S., Stein, M. B., Paulus, M. P., & Feinstein, J. S. (2021). Taking the body off the mind: Decreased functional connectivity between somatomotor and default-mode networks following Floatation-REST. Human brain mapping, 42(10), 3216–3227. https://doi.org/10.1002/hbm.25429
Feinstein, J. S., Khalsa, S. S., Yeh, H. W., Wohlrab, C., Simmons, W. K., Stein, M. B., & Paulus, M. P. (2018). Examining the short-term anxiolytic and antidepressant effect of Floatation-REST. PloS one, 13(2), e0190292. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0190292
Feinstein, J. S., Khalsa, S. S., Yeh, H., Al Zoubi, O., Arevian, A. C., Wohlrab, C., Pantino, M. K., Cartmell, L. J., Simmons, W. K., Stein, M. B., & Paulus, M. P. (2018). The Elicitation of Relaxation and Interoceptive Awareness Using Floatation Therapy in Individuals With High Anxiety Sensitivity. Biological psychiatry. Cognitive neuroscience and neuroimaging, 3(6), 555–562. https://doi.org/10.1016/j.bpsc.2018.02.005
Wissenschaftliche Rationalität
Forschungsarbeiten von Dr. Peter Suedfeld
Suedfeld, P., & Borrie, R.A. (1999). Health and therapeutic applications of chamber and flotation Restricted Environmental Stimulation Therapy (REST). Psychology and Health, 14, 545-566.
Suedfeld, P., Steel, G.D., Wallbaum, A.B.C., Bluck, S., Livesey, N., & Capozzi, L. (1994). Explaining the effects of stimulus restriction: Testing the dynamic hemispheric asymmetry hypothesis. Journal of Environmental Psychology, 14, 87-100.
Suedfeld, P., Turner, J. W., Jr., & Fine, T. H. (Eds.). (1990). Restricted environmental stimulation: Theoretical and empirical developments in flotation REST. Springer-Verlag Publishing.
Suedfeld, P. (1990). Restricted environmental stimulation and smoking cessation: A fifteen-year review. International Journal of the Addictions, 25, 861-888.
Suedfeld, P., Metcalfe, J. & Bluck, S. (1987). Enhancement of scientific creativity by flotation REST (Restricted Environmental Stimulation Technique). Journal of Environmental Psychology, 7, 219-231.
Suedfeld, P., Landon, P.B. & Ballard, E.J. (1983). Effects of reduced stimulation on divergent and convergent thinking. Environment and Behavior, 5, 727-738.
Suedfeld, P., Ballard, E.J. & Murphy, M. (1983). Water immersion and flotation: From stress experiment to stress treatment. Journal of Environmental Psychology, 3, 147-155.
Kalish, N., Landon, P.B., Rank, D.S., & Suedfeld, P. (1983). Stimulus, task, and environmental characteristics as factors in the cognitive processing of English sentences. Bulletin of the Psychonomic Society, 21, 1-3.
Float REST Begriffserklärung
Die Floatation-Reduced Environmental Stimulation Therapy (Float REST) ist ein Verfahren, das die Reize des menschlichen Nervensystems verringert, indem es sensorische Signale aus visuellen, auditiven, olfaktorischen, gustatorischen, thermalen, taktilen, vestibulären, gravitativen und propriozeptiven Kanälen minimiert und zusätzlich die muskuläre Bewegung und Sprache reduziert.